Wie viel Staat verträgt unsere Freiheit? Und wie viel Staat braucht sie?

Im C! Podcast erklärt Udo Di Fabio: „Der Nationalstaat sichert mit seinem Gewaltmonopol, seiner parlamentarischen Demokratie, seinen rechtsstaatlichen Strukturen und der sozialen Marktwirtschaft für uns immer noch den persönlichen Entfaltungsraum“. Der Staat sichert also unsere Freiheit. Doch es stellen sich die Fragen:

Wie viel Staat verträgt unsere Freiheit?
Und wie viel Staat braucht sie?

Hier die Aussagen der Convoco Denker:innen zu diesem Thema:

Stärkt die Pandemie den Staat?

Die Corona-Pandemie hat den Blick auf staatliche Entscheidungsmacht enorm befördert. Dem Staat scheinen viele Aufgaben und Rollen neu zuzuwachsen. Er dirigiert stärker die Wirtschaft und Mobilität. Ich fürchte ein bisschen einen Ausschlag zu einem Neoetatismus. – Udo Di Fabio –

Es ist ein erstaunliches Phänomen, dass in der Krise sofort nach dem Staat gerufen wird und die Ordnungsmacht des Staates plötzlich ganz im Vordergrund steht. – Stefan Korioth –

Meine Befürchtung ist, dass in all den Gesellschaften, die schon vor Corona mit klaren autoritären Tendenzen zu tun hatten, die Corona-Krise zum Alibi wird, um solche Prozesse zu beschleunigen. – Jörn Leonhard –

Die Pandemie hat verdeutlicht, wo Kernaufgaben von Staatlichkeit liegen – und dass dazu der Schutz des Lebens der Bürger:innen gehört. Aber dieses Ziel haben nicht alle Staaten gleich gut erreicht. Überall haben sich zudem Zielkonflikte gezeigt: zwischen Freiheiten und Gesundheitsschutz; wirtschaftlicher Stabilisierung und Budgetstabilität etc. Am Ende wird die Pandemie zwar vermutlich Staaten stärken, aber nicht zu stark machen, denn sie zeigt auch, dass und warum Staaten nötig sind – weil (nur) Staaten die Ziele Schutz und Freiheiten ausbalancieren können. Staat braucht also Freiheit, aber Freiheit braucht ebenso Staat, auch wenn sich die Balance der beiden historisch immer wieder ändert. – Claudia Wiesner –

Warum es auf Eigenverantwortung ankommt

Das Grundgesetz stellt die grundlegenden Freiheitsrechte ganz bewusst an den Anfang, vor die Verfassung des Staates. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer zuerst an den Staat denken und dann erst an unsere eigene Initiative und Fähigkeiten. – Udo Di Fabio –

Eine Sorge ist, dass ein überzogenes Staatsvertrauen die liberalen Wachstumskräfte unserer Gesellschaft schwächen könnte und damit Demokratien mittel- bis langfristig destabilisiert. – Udo Di Fabio –

Wenn wir das Vertrauen in uns selbst, in unsere Eigenverantwortung, verlieren, dann sind wir dem „totalen Staat“ schon sehr nahe. – Ingolf Pernice –

Sichert ein starker und aktiver Staat unsere Freiheit?

Wenn Schwierigkeiten eintreten, zeigt sich die Begrenztheit des Ansatzes des selbstregulierenden Marktes. Dann ist wieder eine Instanz gefragt, die fast paternalistisch von oben herab alle hinter sich versammelt, in das Geschehen eingreift und Entscheidungen trifft. – Stefan Korioth –

Die Krise führt uns das Unvorhersehbare vor Augen. Das könnte bedeuten, dass der Staat in den nächsten Jahrzehnten wieder eine stärkere Rolle in der gesellschaftlichen Entwicklung spielen wird. Märkte können solche Eventualitäten nicht verhindern. Es bedarf staatlicher Regulationen und Investitionen. – Jens Beckert –

Was wir jetzt brauchen, ist mehr Planung und Regulierung. Wir müssen mehr in Bezug auf die Umwelt regulieren, und wir müssen mehr Maßnahmen zum Schutz von gefährdeten Teilen der Gesellschaft durchsetzen. Das wird nicht vom Markt kommen. Der Markt baut keine Sozialwohnungen, er kümmert sich nicht um arme Menschen, und er kümmert sich nicht besonders um die Umwelt. – David Chipperfield –

Vorübergehend wird der Staat eine größere Rolle spielen, um seine Verantwortung für das Überleben wichtiger Unternehmenszweige wahrzunehmen. – Peter M. Huber –

Die Krise kann uns lehren, dass man die Ideologie der Thatcher- und Reagan-Jahre, wonach die Wirtschaft alles und der Staat nichts kann, in einem anderen Licht betrachten muss. – Peter M. Huber –

Wir haben enorme Freiheitsbeschränkungen. Das setzt einen starken Staat voraus, der dies auch kontrollieren und umsetzen kann. – Rudolf Mellinghoff – 

Einen starken Staat zu haben, weil er in der Lage ist, durch die über viele Jahre ausgeglichenen Haushalte hohe Kredite aufzunehmen, ist sehr begrüßenswert. – Rudolf Mellinghoff –

Wo liegen die Grenzen staatlichen Handelns?

Was in der Pandemie gut funktioniert hat, ist die Entwicklung der Impfstoffe. Und das ist im privatwirtschaftlichen Bereich geschehen. Der Staat hat in der Pandemie vor allem gezeigt, was er nicht kann und wo staatliches Handeln zur Selbstbedienung eingeladen hat. Der Staat war ein schlechter Einkäufer und Planer. Man denke an die Skandale bei der Beschaffung von Masken, an die Verträge zur Lieferung von Impfstoffen oder die Organisation der Impfkampagne. Mit dieser Bilanz lässt sich der Ruf nach mehr Staat nicht begründen. – Kai A. Konrad –

Viele schauen im Moment auf die chinesische Volkswirtschaft, in der der Staat sehr stark eingreift und erfolgreich zu sein scheint. Die Hypothese, dass Europa jetzt auch wie ein Unternehmen definieren müsse, in welchen Geschäftsfeldern es tätig sein will, ist ein gefährlicher Weg, da die Politik nicht weiß, was die Geschäftsfelder der Zukunft sind. – Clemens Fuest –

C! Edition: Neue Konstellationen der Gegenwart: Annäherungen, Institutionen und Legitimität
Regierungen sind nicht »allwissende, benevolente Dikatoren«, sondern Institutionen, in denen Menschen wie in privaten Märkten ihre individuellen Ziele verfolgen und in denen unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Selbst wenn staatliches Handeln Marktstörungen prinzipiell beheben könnte, führen politische Entscheidungsprozesse keineswegs immer dazu, dass dies auch geschieht. – Clemens Fuest – 

Insolvenzen können wir verhindern, indem sich der Staat für eine gewisse Zeit durch Eigenkapitalbeteiligungen einbringt. Nur muss es an dieser Stelle klare Exit-Strategien geben, denn eine solche Beteiligung darf nicht dauerhaft sein. Der Staat ist nicht der bessere Unternehmer. – Monika Schnitzer –

Die derzeitige Krise zeigt die Notwendigkeit für einen starken Staat. Aber ein starker Staat bedeutet nicht, dass dieser immer mehr Aufgaben übernimmt. Er sollte vielmehr besser, schneller und digitaler agieren – auch in Zusammenarbeit mit anderen Akteurinnen der Gesellschaft. Die Pandemie hat gezeigt, wie entscheidend die gezielte Anschubfinanzierung bei der Grundlagenforschung und die intelligente Risikoteilung bei der Beschaffung für die schnelle Verfügbarkeit der Impfstoffe sind. Staat und Unternehmen müssen noch besser zusammenarbeiten. Lernen von den Besten muss dabei die Lösung für alle Beteiligten lauten. – Jörg Rocholl –

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