Die Zukunft des Kapitalismus
Die Convoco! Edition ist eine jährlich erscheinende Buchreihe, die Beiträge der Denkerinnen und Denker zu Convocos Jahresthemen zusammenträgt. Die Edition wird sowohl in deutscher als auch englischer Sprache veröffentlicht.
Die Zukunft des Kapitalismus
Reihe: Convoco! Edition
Herausgegeben von Corinne Michaela Flick
Beitragende: Jens Beckert, Bazon Brock, Sean Hagan, Kai A. Konrad, Stefan Koritoh, Justin Yifu Lin, Rudolf Mellinghoff, Timo Meynhardt, Hans Ulrich Obrist und Adam Curtis, Stefan Oschmann, Christoph G. Paulus, Herbert A. Reitsamer, Albrecht Ritschl, Jörg Rocholl, Gisbert Rühl, Monika Schnitzer, Wolfgang Schön
Seiten: 296
ISBN 978-3-8353-3429-8
Preis gebundenes Buch: €14.90 (D) . €15.40 (A)
Preis EPUB: €11.99
In unserer sich rapide wandelnden Welt scheint die Zukunft unseres Wirtschaftssystems – des Kapitalismus – unvorhersehbarer denn je: Die seit wenigen Jahrzehnten voranschreitende Digitalisierung zeichnet sich bereits jetzt durch drastische Veränderungen auf unserem Arbeitsmarkt ab. Die intensivierte Globalisierung hat neue Formen des Kapitalismus hervorgebracht, die sich von westlichen freien Marktwirtschaften deutlich unterscheiden. Die Kapitalismuskritik stellt derzeit eine weitere Herausforderung für unser Wirtschaftssystem dar.
Der vorliegende Band widmet sich der Zukunft des Kapitalismus aus unterschiedlichen Perspektiven, will konstruktiv nach vorne blicken und somit unsere wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft mitgestalten. Es steht die Frage im Fokus, wie sich der Kapitalismus wandeln muss, damit er weiterhin ein erfolgreiches Modell für unsere Gesellschaft bleibt und noch mehr Menschen am Kapitalismus partizipieren bzw. von ihm profitieren können.
Thesen
Heute sind angesichts der technologischen und der gesellschaftlichen Entwicklungen viele zukünftige Formen der Marktwirtschaft denkbar. Selbst das vollkommene Scheitern wird von manchen in Betracht gezogen. Möglich ist auch, dass der Kapitalismus sich auflöst. Was mit Sicherheit festgestellt werden kann, ist, dass er sich in Transformation befindet.
Corinne M. Flick
Religiöse und institutionelle Schranken behinderten die Herausbildung des Kapitalismus mit seiner Trennung von investiertem und haftendem Kapital bis ins Mittelalter. Die italienischen Handelsgesellschaften des Mittelalters waren ein erster Schritt zur Überwindung dieser Hemmnisse, die Herausbildung von Märkten für haftungsbeschränktes Aktienkapital in den Niederlanden brachte den Durchbruch. Seit Anbeginn sind kapitalistische Finanzierungsweisen mit Seefahrt und Globalisierung verbunden gewesen und sind Finanzkrisen auch Krisen der Globalisierung.
Albrecht Ritschl
Das marktwirtschaftliche System mit Privateigentum hat sehr breiten Bevölkerungsschichten in Europa nie gekannten Wohlstand gebracht. Die industrielle Revolution 4.0 könnte diese Entwicklung fortsetzen. Das erfordert aber eine für Fortschritt und Wandel offene Gesellschaft. Ist die Gesellschaft in Europa dazu nicht bereit und blockiert diese Veränderungen, wird der Wohlstand künftig andernorts entstehen.
Kai A. Konrad
Das Verhältnis von Markt und Demokratie ist ambivalent. Ökonomische und politische Freiheit können sich wechselseitig stützen. Freie Märkte können aber auch die Bereitschaft zu fairem kollektiven Zusammenwirken im Sinne des Gemeinwohls untergraben. Im Grundsatz kann wirtschaftliche Freiheit auch autoritär geschützt werden. Fraglich ist nur, ob dies auf Dauer gelingen kann.
Stefan Korioth
Die Zukunft des Kapitalismus wird zu einem erheblichen Teil in der Volksrepublik China gestaltet. Das ist nicht ganz ohne Ironie, denn schließlich bekennt sich die herrschende Kommunistische Partei offiziell zum Marxismus und zur „sozialistischen Marktwirtschaft“.
Stefan Oschmann
Das Geheimnis von Chinas Erfolg liegt in der Regulierung sowohl durch die „unsichtbare Hand“ als auch durch die „sichtbare Hand“ und bildet somit eine organische Integration, Ergänzung und gegenseitige Verbesserung der Funktionen des Marktes und des Staates.
Justin Yifu Lin
Ohne politische Mitspracherechte ist schwer vorstellbar, dass Rechtssicherheit gewährleistet werden kann. Ein Staat, der das Vertrauen seiner Bevölkerung verliert, dass er in ihrem Interesse handelt, wird dies auch mit einer nachlassenden wirtschaftlichen Dynamik bezahlen.
Monika Schnitzer
Die Digitalisierung beschleunigt den Steuerwettbewerb. Die hohe Mobilität von Immaterialgütern und die abnehmende Bedeutung von Realinvestitionen und Arbeitskraft lässt die Unternehmenssteuern sinken und die Umsatzsteuern steigern. Dies stellt die Fähigkeit der Steuersysteme zum sozialen Ausgleich im Kern in Frage. Ob dieser Tendenz durch verschärfte Einkommensteuern, Vermögensteuern oder Erbschaftsteuern entgegengewirkt werden kann, muss bezweifelt werden.
Wolfgang Schön
Freiheitliches Wirtschaften als eine der Grundvoraussetzungen des Kapitalismus kann sich im Ergebnis nur dann entfalten, wenn der Staat für Rahmenbedingungen sorgt, die einen Austausch von Gütern und Dienstleistungen ermöglicht, wenn er einen Finanzmarkt und ein funktionierendes Bankensystem gewährleistet und wenn die Rechtspositionen staatlich garantiert sind und sich möglichst mit Hilfe unabhängiger Gerichte durchsetzen lassen. Dabei erweist sich der Steuerstaat als die ideale Staatsform, in der sich eine freiheitliche Marktwirtschaft entfalten kann.
Rudolf Mellinghoff
Der Kapitalismus verändert sich auch dadurch, dass die künstliche Intelligenz ganze Berufsfelder dahinschwinden lässt und Heerscharen von Bürgern von Arbeits- und Einkommensmöglichkeiten abschneidet. Das ist auch eine massive Bedrohung für die Demokratie. Was in Anbetracht dieses Szenarios zu helfen vermag, ist die bedingungslose Investition in Bildung. Es muss das Wissen, die Bildung für alle zum durchgängigen Programm europäischer Politik werden.
Christoph G. Paulus
Das Element des Abstrakten, das von der unmittelbaren emotionalen Beziehung Losgelöste, war ursprünglich ein großer Freiheitsgewinn und Fortschrittsmotor. Die aktuellen Krisenerscheinungen zeigen uns jedoch, dass die alte Balance zwischen dem Konkreten (Gemeinschaft) und dem Abstrakten (Gesellschaft) verlorengegangen ist.
Timo Meynhardt
Was Adam Smith in seinen Anfängen über die Moral gesagt hat, ist von zentraler Bedeutung für sein Konzept des Kapitalismus. Es geht hierbei nicht nur um den Markt. Es geht darum, ob du über Fähigkeiten und den Willen verfügst, darüber nachzudenken, wie sich andere Menschen fühlen und wie du ihnen vielleicht helfen kannst, sich besser zu fühlen. Und das ist es vielleicht, was kommen wird, und was den Kapitalismus retten könnte.
Adam Curtis
Wenn wir uns allein auf Gesetze und Regeln verlassen, provozieren wir letztlich deren Umgehung. Wir brauchen aber keine Compliance-Kultur, sondern eine Kultur der Werte. Wir brauchen Beamte, öffentliche Angestellte und private Akteure, die das Richtige tun, auch wenn niemand hinsieht.
Sean Hagan
Der Belohnungsmechanismus des Gehirns lässt uns nach Wohlstand streben und Reichtümer anhäufen. Man kann die Gier nach dem Mehr als Relikt unserer phylogenetischen Entwicklung und als Bürde oder Segen der Evolution sehen. Es muss uns jedoch bei allen Handlungen klar sein, dass wir Menschen im gewissen Sinne immer noch auf der Basis eines Froschgehirns agieren und primitive neuronale Regelkreise Einfluss auf unsere Entscheidungen nehmen.
Herbert A. Reitsamer
Die herkömmlichen Konzepte der Kapitalismusfeier wie -kritik übersehen gerade mit der Behauptung, sich auf wirtschaftliche Tatsachen zu stützen, die wichtigste Tatsache, dass nämlich vor allem Kontrafakte für das gesellschaftliche Leben entscheidend sind. Es ist das bedeutendste Faktum, dass alle Gesellschaften der Normativität des Kontrafaktischen unterliegen.
Bazon Brock
Die Einbindung von Künstlern in die Mitte der Gesellschaft ist sehr interessant, wenn wir über die Zukunft sprechen – nicht nur über die Zukunft der Kunst, sondern auch der Gesellschaft. Jede Firma, jedes Ministerium, jedes Unternehmen sollte über einen „Artist in Residence“ verfügen.
Hans Ulrich Obrist
Wachstum ist keine Entscheidungs–, sondern eine Zielvariable. Sie entsteht durch Kreativität, gegenseitig nützlichen Handel und Arbeit – d.h. durch menschliches Streben. Arbiträre Interventionen, wie sie von radikalen Wachstumskritikern gefordert werden, stellen einen immensen Eingriff in die Freiheit dar und könnten schnell in einem autoritären System münden.
Jörg Rocholl
In der Masse angekommen, beschreibt der Plattformkapitalismus eine neue digitale Wirtschaftsordnung, also eine erweiterte Form des Kapitalismus. Der Kapitalismus definiert sich im Kern über das „Privateigentum der Produktionsmittel“. Im Zeitalter des Plattformkapitalismus wird dieser Zusammenhang zum Teil aufgelöst: Das Privateigentum an Informationen wird zum konstituierenden Grundsatz des Plattformkapitalismus.
Gisbert Rühl
Die Zukunft technologischer und wirtschaftlicher Entwicklung sollte viel stärker im Hinblick auf die Folgen für das politische Gemeinwesen und die Gesellschaft insgesamt reflektiert werden. Wo wollen wir eigentlich hin?
Jens Beckert