Kollektiver Rechtsbruch – Gefahr für unsere Freiheit

Die Convoco! Edition ist eine jährlich erscheinende Buchreihe, die Beiträge der Denkerinnen und Denker zu Convocos Jahresthemen zusammenträgt. Die Edition wird sowohl in deutscher als auch englischer Sprache veröffentlicht.

Kollektiver Rechtsbruch – Gefahr für unsere Freiheit

Reihe: Convoco! Edition

Herausgegeben von Corinne Michaela Flick

Beitragende: Marietta Auer, Paul Collier, Gabrielf Felbermayr, Francisco H. G. Ferreira, Clemens Fuest, Raji Jayaraman, Diébédo Francis Kéré, Kai A. Konrad, Stefan Korioth, Jörn Leonhard, Timo Meynhardt, Hans Ulrich Obrist , Christoph G. Paulus, Mathias Risse, Wolfgang Schön, Claudia Wiesner, Jonathan Wolff

Seiten: 208

ISBN 978-3-8353-1274-6

Preis gebundenes Buch: €18.90 (D) . €19.50 (A)

Hier erhältlich

Preis EPUB: €14.99

Hier erhältlich

Dieser Band macht auf das Phänomen des kollektiven Rechtsbruchs aufmerksam und beschäftigt sich mit der Frage, in welchem Ausmaβ unsere Gesellschaft sich an Recht und Gesetz hält. Beleuchtet werden jene Rechtsbrüche, die die Gesellschaft im Kollektiv begeht. Dabei wird sowohl kollektives Individualverhalten als auch kollektives staatliches Handeln untersucht. Die aktuelle Krise der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion steht im Blickpunkt.

Die Edition trägt die Gedanken und Perspektiven verschiedener Denker aus unterschiedlichen Disziplinen und Arbeitsbereichen zusammen. Neben juristischen werden wirtschaftliche und philosophische Fragen und Aspekte behandelt.

Thesen

Das Konzept der Demokratie suggeriert eine Übereinstimmung von normativem Kollektivwillen und tatsächlichem Kollektivhandeln. Doch mit der Überantwortung des Rechts an staatliche Institutionen steigt die Gefahr kollektiver Rechtsbrüche. Dies kann Zeichen des gesellschaftlichen Fortschritts sein, aber auch ein rechtsstaatlich bedenkliches Defizit der Rechtsdurchsetzung aufscheinen lassen. Der Staat sollte nach Übereinstimmung von Norm und Faktum streben: entweder “edukatorisch” die Durchsetzung des Normbefehls betreiben oder in Weisheit auf Perfektion des Normenbestandes verzichten. Entscheidend ist, dass die Rechtsordnung glaubwürdig bleibt und in der Zeit nicht ihre Konsistenz verliert.

Wolfgang Schön

Es gilt zu erkennen, dass es im eigenen Interesse liegt, sich Regelungen zu unterwerfen, die die persönliche Souveränität einschränken, dafür aber Schutz und Sicherheit bieten. Das Recht kann allerdings nur dann seine zivilisierende Rolle wahrnehmen, wenn es die ethisch-moralischen Anforderungen einer Gesellschaft widerspiegelt und die technischen, sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen reflekiert bzw. begleitet. Nur dann kann Rechtstreue erwartet werden.

Corinne M. Flick

Die Gründe für kollektive Rechtsbrüche sind in hohem Maße durch den historischen Kontext sowie den Sinnhorizont und Standpunkt der Akteure bestimmt. Kollektive Rechtsbrüche können für die Entwicklung von Freiheitsrechten notwendig sein. Sie können die Grundlagen individueller und kollektiver Freiheitrechte aber auch gefährden. In vielen Fällen bleibt die Bedeutung ambivalent. Zu den Aufgaben der Philosophie und der Geschichtswissenschaft gehört die systematische, begriffskritische und empirisch fundierte, Analyse der sozialen und kulturellen Voraussetzungen, Formen und Folgendes kollektiven Rechtsbruchs.

Pirmin Stekeler-Weithofer & Hannes Siegrist

Kollektive Rechtsbrüche gibt es seit der Antike. Bereits Seneca hat erkannt, je grösser die Masse der Täter, desto skrupelloser der Einzelne. Fest steht, dass Recht ein unabdingbares Desiderat menschlichen Zusammenlebens ist. Es hat eine anthropologisch – soziologische unbestreitbare Daseinsberechtigung. Allerdings lehrt die rechtsgeschichtliche Erfahrung, dass sich das Gesetz nicht allzu weit vom gesellschaftlich Akzeptablen entfernen darf, wenn es befolgt werden will.
Dies impliziert ein Verständnis vom ‘Recht des Inhalts’: Recht ist zu befolgen, weil es Recht ist. Wenn der Bürger zwischen gesetztem Recht und dem, was er als Recht empfindet, trennt, ist Recht nicht mehr identisch mit seiner zwingenden Befolgung. Ergebnis ist der kollektive Rechtsbruch.

Christoph G. Paulus

Die Gerechtigkeit fordert einen gleichheitsgerechten Vollzug des geltenden Steuerrechts. In der Realität gelingt es jedoch kaum, das geltende Recht ordnungsgemäß zu vollziehen. Die Ursachen für die mangelhafte Befolgung geltenden Rechts sind vielfältig und häufig auf die gravierenden Mängel des Steuerrechts zurückzuführen. Damit bedroht der gegenwärtige Zustand im deutschen Steuerrecht die Grundlagen des freiheitlich demokratischen Rechtsstaates. Es bedarf dringend einer fundamentalen Erneuerung des Steuerrechts.
Rudolf Mellinghoff

Die Wurzel des Übels, mit dem die Welt heute kämpft, lag zwar in der mangelnden Regulierung der komplexen Finanzbranche. Tatsache ist jedoch, dass die Probleme, die zur Krise führten, in den Ländern aufgedeckt und angegangen wurden, die sich ständig selbst einer kritischen Prüfung unterziehen. Eine reife Bürgerschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie den Blick in den Spiegel wagt und ihre eigenen Schwächen ehrlich identifiziert, anstatt andere für ihre Probleme verantwortlich zu machen. Der Wunsch nach ständigem Fortschritt und Entwicklung kennzeichnet eine reife, demokratische Gesellschaft.

Shaukat Aziz

Paul Kirchhof versicherte in Salzburg, Juristen würden schnellstens dafür sorgen, dass die leichtfertigen Überdehnungen von Recht und Gesetz seit der Deregulierung unter Kontrolle gebracht werden. Das ist ein bemerkenswert frommer Wunsch, denn nur durch Initiative und aktive Mithilfe von Juristen wurden eben jene kollektiven Rechtsbrüche erst ermöglicht. Anwälte sind zwar ein Organ der Rechtspflege, aber was als pfleglich gilt und akzeptiert wird, bestimmen im Wesentlichen sie durch ihre honorarabhängige Kunstfertigkeit.

Bazon Brock

Kollektiver Rechtsbruch bedeutet, dass das faktische Verhalten sich gegen das in die Rechtsnorm gegossene erwartete Verhalten stellt. Dabei bedarf es eines bestimmten Grades von Gemeinsamkeit mehrerer Rechtsbrecher. Der kollektive Rechtsbruch hat keine juristische Bedeutung, allerdings eine soziale und damit politische. Auf europäischer Ebene findet sich der kollektive Rechtsbruch in der Missachtung der Verpflichtungen, die die Regierungen der Mitgliedstaaten im Vertrag von Maastricht auf sich genommen haben. Die Mitgliedstaaten hätten das Vertrauen auf die Rechtstreue, auf das sie selbst gesetzt hatten, honorieren müssen, um zu verhindern, dass die Konstruktion Maastricht scheitert. Nun demonstriert die Finanzkrise in Europa, welche verheerende Folgen der kollektive Rechtsbruch haben kann. Recht kann nicht vor kollektiven Rechtsbruch schützen. Das ordnende Recht und seine Achtung zu verteidigen, ist die Aufgabe der Einzelnen und liegt im Interesse aller. Denn das Recht ist die Bedingung für die Freiheit, so wie eine funktionsfähige Wirtschafts – und Währungsunion Vorraussetzung für den Schutz des Eigentums in Europa ist.

Ingolf Pernice

Die Instabilität des Rechts ist ein zu hoher Preis für die Finanzierung der überhöhten Staatsverschuldung und der Finanzmarktkrise. Die Lösung liegt in einer stetigen Annäherung an das Recht. Wenn die Staatsorgane in der noch andauernden Illegalität von Überschuldung und Finanzmarkt sich in jedem Schritt dem Recht annähern müssen, entsteht ein gewaltiger Sanierungsdruck. Das Parlament ist gefordert. Finanzkrisen sind schon immer die Stunde demokratischer Erneuerung.
Paul Kirchhof

Es gilt, auf einer strikten Einhaltung der europäischen Verträge zu bestehen. Es gilt, darauf zu bestehen, dass der Deutsche Bundestag seine haushaltspolitische Gesamtverantwortung in unser aller Interesse tatsächlich wahrnimmt. Die Achtung vor dem Recht, das Freiheit, Gleichheit und Selbstbestimmung der Bürger garantiert, und damit Grundlage unserer Demokratie wie unseres Rechtsstaates ist, ist wichtiger als alles andere.

Peter M. Huber

Man ist mit den ordnungspolitischen Prinzipien der Wirtschafts- und Währungsunion nicht nur lax umgegangen, sondern hat sie missachtet. Die regulatorischen Prinzipien wurden als flexibel interpretierbare Formeln betrachtet und nicht als zentrale ordnungspolitische Festlegungen. Prinzipien und Regeln, die zu allen Zeiten und nicht nur in “Schönwetterperioden” Leitplanken politischen Handelns sein sollen, wurden als störend empfunden, weil sie den politischen Gestaltungsspielraum einschränken. Aber gerade in Krisenzeiten sollen Prinzipien mittelfristige Orientierung geben. Hier zeigt sich eindeutig ein unterschiedliches Rechtsverständnis und Rechtsbewusstsein zwischen den Mitgliedstaaten und innerhalb der europäischen Institutionen.

Jürgen Stark

Die Entwicklung des Euro ist mittlerweile zu einer Historie von Rechtsbrüchen verkommen. Zum heutigen Stand ist leider nur sicher, dass sich Wohlstandsverluste für die deutschen Bürger und fortschreitende Inflation nicht mehr vermeiden lassen.

Heinrich Weiss

Einen Ausweg aus Krise und Unrechtmässigkeit bietet ein politisch begleitetes, aber privat finanziertes Wachstumsprogramm zum Auf- und Ausbau und zur Modernisierung der europäischen Infrastruktur. Die Aufgabe der Politik bestünde darin, den Bedarf an Infrastruktur mit den Anlagebedürfnissen des privaten Kapitals zusammenzuführen. Jedes allgemeine Nur-Sparen, jede Austerität ist stets mit Rezession und deren Folgen wie Arbeitslosigkeit, Vermögensentwertung, steigende Soziallasten der Staaten bis hin zu sozialen Unruhen verbunden.

Roland Berger

Autor:innen

KONTAKT

Convoco gemeinnützige Stiftung-GmbH

Zur Förderung der Wissenschaft und Bildung

Brienner Str. 28
80333 Munich
Germany

NEWSLETTER

Melden Sie sich jetzt für den exklusiven Newsletter an. Wir verwenden Ihre persönlichen Daten wie in unserer Datenschutzrichtlinie beschrieben.

© 2024. All Rights Reserved