Die Freiheit des einen muss nicht nur mit der Freiheit der anderen in Ausgleich gebracht werden, sondern auch mit den Anforderungen des Gemeinwohls vorallem in Hinblick auf Gleichheit. Bei der Abwägung dieser Grundwerte kommt der Freiheit dennoch besonderes Gewicht zu. Warum ist das so? Lesen Sie hier Gedanken zum Thema:
Der Primat der Freiheit
Warum die individuelle Freiheit das Gemeinwohl braucht
Achtsamkeit im Umgang mit dem Begriff Gemeinwohl ist geboten. Nicht alles in der Politik ist mit dem Gemeinwohl zu rechtfertigen. Handlungsspielräume des Einzelnen per se einzuschränken, ist kein gangbarer Weg. Gemeinwohleingriffe sollten den Einzelnen stärken und nicht schwächen.
»Leben, Freiheit und das Streben nach Glück.« Dahinter steht die Überzeugung, dass es nicht nur eine Prozeduralisierung der Gemeinwohlentscheidung im Parlament gibt, sondern eben eine im Kopf eines jeden einzelnen Menschen, der für sich entscheidet, was sein Weg zum Glück ist. Dieser Imperativ personaler Freiheit ist nicht das letzte Wort für die Definition des Gemeinwohls, sondern das erste, der Ausgangspunkt für die Ableitung von Gemeinwohlzielen aus der normativen Grundordnung. Auf der Grundlage des Imperativs personaler Freiheit und individueller Würde hat sich jede politische Ordnung so zu organisieren, dass in ihrem Mittelpunkt der sich frei entfaltende einzelne Mensch steht.
Unser verfassungsrechtliches Denken will weder eine Dominanz der Gemeinwohlbelange noch eine Dominanz eines rein individualisierten Selbstbestimmungsgedankens … Jeder Vertrag, jede Freundschaft, jede soziale Beziehung kann als Einschränkung der Freiheit betrachtet werden, aber mit viel mehr Recht als die Ausübung des Freiseins. Freiheit setzt Bindungsfähigkeit voraus.
Freiheit vs. Gleichheit
Freiheit und Gleichheit sind nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des ihnen jeweils innewohnenden Gerechtigkeitsgehalts erstrebenswert.
Der Sinn von Freiheit ist gerade die Möglichkeit zu inhaltlich unbestimmter Freiheitsbetätigung. Darin liegt der Kern aller liberalen Gerechtigkeitstheorien, die von einem Primat der Freiheit vor der Gleichheit ausgehen.
Gleichheit erfordert anders als Freiheit immer eine inhaltliche Ausfüllung als Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem gemessen an einem konkreten Maßstab. Das führt dazu, dass die möglichen Vergleichsansprüche – im Bereich der Geschlechtergleichheit etwa: Gleiche Rechtsfähigkeit von Mann und Frau? Gleiches Wahlrecht? Paritätische Besetzung von Wahllisten etc? Ehe für alle? Adoption für alle? Drittes Geschlecht? Selbstbestimmungsgesetz? – schon weit diesseits des niemals erreichbaren Ziels vollständiger Ergebnisgleichheit potenziell uferlos und nicht erfüllbar sind.
Grundrechtliche Freiheit, die sich unter dem Deckmantel des Privatrechts in ökonomische und soziale Ungleichheit verwandelt, wird im Interesse von jedermann gewährt, weil individuelle Unterschiede – wie die Ausprägung unterschiedlicher Begabungen, die Realisierung unterschiedlicher Lebensentwürfe sowie überhaupt jede Form von wettbewerblicher Weiterentwicklung individueller und sozialer Ziele – in einer pluralistischen Gesellschaft grundsätzlich sozial erwünscht sind.
Freiheit trägt – im Gegensatz zur Gleichheit – ein Legitimationsprinzip in sich. Das Pathos der Freiheit und nur der Freiheit besteht darin, allen in ihrer Vernunftfähigkeit gleichen Personen die Entscheidung über ihre normativen Ziele selbst anzuvertrauen und sie davon freizusetzen, dass Gott, Natur oder die übermächtige Gesellschaft darüber befinden, wie sie ihr Leben zu leben haben.
Freiheit kann als natürliche, angeborene verstanden werden, ohne einen Dritten, der sie anerkennt oder zuweist. Bei der Gleichheit ist das so nicht möglich. Es gibt keine natürliche Gleichheit in dem Sinne, dass sie ohne Bezug zu anderen denkbar wäre.
[Eine] ganz neue Entwicklungsstufe der sozialen Gleichheit ist…, dass zunehmend Gründe, aus denen keine Ungleichbehandlung stattfinden darf, mit verpflichtender Wirkung nicht allein für die öffentliche Gewalt, sondern auch für alle Mitglieder der Gesellschaft festgeschrieben werden (sollen)… Eine Norm [wie das Allgemeinene Gleichbehandlungsgesetz von 2006] sprengt mit der allseitigen Verbindlichkeit alle Kategorien von öffentlicher Bindung und privater Gestaltungsfreiheit. Neu bestimmt wird das Verhältnis von Gleichheitsverpflichtung und Handlungsfreiheit.
Im Lichte von Antidiskriminierungsnormen ist die Forderung nach Gleichbehandlung nicht mehr der (ausnahmsweise) Rechtfertigungsgrund zur Beschränkung der Freiheit. Gerade umgekehrt ist die umfassende Gleichbehandlung das Primäre, Handlungsfreiheit ist der Rest an Gestaltungs- und Wahlmöglichkeiten, der den Einzelnen verbleibt, wenn alle Gleichheitsanforderungen erfüllt sind.
Aber:
Die Freiheit ist zwar ein überragendes Gut, man darf sie jedoch nicht verabsolutieren. Die Verfassung macht das nicht; sie sieht – von der Menschenwürde abgesehen – jede Menge Beschränkungsmöglichkeiten vor. Den Müttern und Vätern des Grundgesetzes, die den Krieg hinter sich hatten, war klar, dass Freiheit nicht alles sein kann.