Werden neue Handelsabkommen gebraucht? Ein Blick auf das Mercosur-Abkommen

die Word Trade Organisation (WTO) als Eckpfeiler der multilateralen Ordnung befindet sich in einer existenziellen Krise. Europa muss sich auf eine Welt vorbereiten, in der die WTO noch mehr Schaden nehmen könnte. Neue Handelsabkommen werden gebraucht.

Lesen Sie hier Gedanken unserer Convoco Denkerinnen und Denker zum Thema:

Werden neue Handelsabkommen gebraucht?
Ein Blick auf das Mercosur-Abkommen

Warum neue Handelsabkommen?

In einer Welt, die sich im Umbruch befindet, ist es wichtig, dass Europa die Regeln der Globalisierung nach seinen Standards mitgestaltet. Die in der Diskussion befindlichen Handelsabkommen mit Mercosur und Vietnam sind hierbei Vorbilder, denn diese Verträge regeln nicht nur den Abbau von Zöllen, sondern verpflichten alle Vertragsparteien zur Einhaltung europäischer Standards bei der Güterproduktion, dem Umweltschutz und dem Umgang mit privaten Daten europäischer Bürger. (C! Edition: Der Wert Europas in einer bedeutsameren Weltgeschichte)

Seit einigen Jahren finden sich nichthandelspolitische Ziele … in den Handelsabkommen fortgeschrittener Volkswirtschaften wie der EU. Diese bietet den Partnerländern verbesserten Marktzugang in Europa an, verlangt dafür aber die Einhaltung von Standards außerhalb der klassischen Handelspolitik, für die die Länder oft ohne die Anreize aus Europa nicht bereit wären. (C! Edition: Gleichheit in einer ungleichen Welt)

Das Mercosur-Abkommen

Die Mercosur Staaten: Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay, Venezuela (derzeit suspendiert)

Was wurde verhandelt: Bestimmungen zu politischem Dialog, Kooperation und Handel

Ziele:

  • Steigerung des bilateralen Handels und der Investitionen sowie Abbau von tarifären und nicht-tarifären Handelshemmnissen
  • Schaffung stabilerer und berechenbarerer Regeln durch bessere und strengere Vorschriften (u.a. geistige Eigentumsrechte einschließlich geographischer Herkunftsangaben (GIs), Lebensmittelsicherheitsstandards, Wettbewerb)
  • Förderung gemeinsamer Werte (u.a. Stärkung der Arbeitnehmerrechte, Bekämpfung des Klimawandels, Umweltschutz)
    (WKO 2023, o.S.)

Contra Mercosur

Gabriel Felbermayr: Es gibt legitime Gründe, skeptisch zu sein. Die Mercosur Staaten haben demokratiepolitische Schwächen. Sie sind crisis-prone, vor allem Argentinien. Und es besteht die Sorge, dass bei mehr Handel und einer Liberalisierung des Agrarbereichs der Regenwald leidet und dass die Versicherungen, die man geben kann, am Ende nicht viel wert sind. (C! Forum 2023)

Sven Simon: Die Kritik an diesem Abkommen kommt aus zwei Richtungen – nicht nur aus der gewohnten grünen Richtung, sondern auch aus der Landwirtschaft in Frankreich und Österreich. (C! Forum 2023)

Der erste Vorwurf gegen das Abkommen ist: die Rindfleischproduktion werde enorm gesteigert und dies führe zu einer weiteren Abholzung des Regenwaldes. Die Zahlen sprechen nicht dafür. Wir importieren aus den Mercosur-Staaten 200.000 Tonnen Rindfleisch. Davon sollen für 99.000 Tonnen der Zolltarif langsam abgesenkt werden. Die Rindfleischproduktion nur von Brasilien ist 11 Millionen Tonnen. (C! Forum 2023)

Das nächste Thema ist der Soja-Anbau. Es wird gesagt, mehr Soja-Importe würden zur Regenwald-Abholzung führen. Doch der Zolltarif für Soja ist schon jetzt bei null und bleibt mit dem Abkommen bei null. Also auch das Argument ist falsch. (C! Forum 2023)

Das dritte Argument ist, dass das Nachhaltigkeitskapitel im Abkommen nicht rechtlich verbindlich sei. Das ist es aber, und der Mehrwert, den wir bekommen, ist, dass die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation von den Mercosur-Staaten ratifiziert werden, dass es multilaterale Umweltübereinkommen gibt, und dass das Pariser Klimaschutzabkommen rechtlich verbindlich gemacht werden muss, was zurzeit nicht der Fall ist. Käme in Brasilien wieder eine rechtspopulistische Regierung an die Macht, würde diese nicht im Traum daran denken, das Pariser Klimaschutzabkommen zu ratifizieren. Doch mit dem Mercosur Abkommen würde sie sich dazu und auch zum Biodiversitätsabkommen verpflichtet sehen. (C! Forum 2023)

Pro Mercosur

Sven Simon: Bei der Alternative, das Abkommen nicht abzuschließen, liegt klar auf der Hand, was passiert: China wird in Lateinamerika gestärkt. Die (Chinesen) sind schon da. Nicht die Wohlstandsmehrung, sondern die geostrategische Bedeutung ist heute das eigentlich starke Argument für diese Handelsabkommen. (C! Forum 2023)

Gabriel Felbermayr: Die chinesischen Importe von Agrarrohstoffen aus den Mercosur-Staaten sind bereits jetzt viermal so hoch wie die europäischen Importe. Die Chinesen sind schon längst da. (C! Forum 2023)

Ein global gültiges Regelwerk ist bilateralen Abkommen, die leichter nachteilige Handelsverlagerungen erzeugen und das Handelssystem fragmentieren, sicherlich vorzuziehen. Wenn aber das globale System zusammenbricht und die Rechtssicherheit abnimmt, sind bilaterale Abkommen willkommene Hilfsmaßnahmen … Hier werden wiederum Kompromisse nötig sein. So wird der Mercosur-Freihandelsvertrag oder auch der mit den ASEAN-Staaten mit dem Risiko verbunden sein, Widersprüche auf dem Gebiet der Umweltpolitik zu erzeugen. Doch in einem zunehmend ungeordneten globalen Handelssystem würde der Schutz von Transparenz und Rechtsordnung auf jeden Fall eine sehr wichtige Errungenschaft sein. (C! Edition: Der Wert Europas in einer bedeutsameren Weltgeschichte)

Wir brauchen Diversifikation. Wir haben gute Gründe, warum man sich nicht mehr so stark in China engagieren sollte, wie man das in letzter Zeit getan hat. Vielleicht gefällt uns manches nicht, was in den Mercosur Staaten passiert, aber es ist sehr viel leichter, Einfluss zu nehmen, wenn man im Austausch ist. (C! Forum 2023)

Es geht darum, mit sanftem Druck Handelsstandards in diese Abkommen einzubauen … Man kann sich immer darüber streiten, ob es noch mehr Standards bedarf. Aber es würde nicht besser werden, wenn es überhaupt keinen Faden des Kontaktes gibt.
(C! Forum 2023)

Monika Schnitzer: Zu denken, dass man die eigenen Vorstellungen, wie man richtig lebt und wie Demokratie richtig ist jetzt überstülpt und sagt, „Wir reden und handeln nur mit denen, die da genau unseren Vorstellungen entsprechen“ – ich glaube, da verhebt man sich. (C! Forum 2023)

Wir werden im nächsten Jahrzehnt eine andere Form von Weltwirtschaft erleben als in den letzten 30 Jahren und über die Globalisierung aus geopolitischer und geoökonomischer Perspektive neu nachdenken müssen. Freihandelsabkommen erlauben uns in dieser veränderten Welt nicht nur, die Vorteile der Globalisierung, wie Offenheit, Integration und Handel voranzutreiben, sie sind auch aus geopolitischer Sicht von großer strategischer Bedeutung. Das Mercosur-Abkommen würde eine der größten Handelszonen weltweit schaffen und damit auch ein Gegengewicht zu bestehenden Freihandelsabkommen bilden, wie beispielweise dem RCEP-Abkommen im asiatischen Raum. Ein bestehendes Abkommen mit dem Mercosur wäre ein festes, freundschaftliches Band in den südamerikanischen Raum und schließt Länder mit ein, die beim Stichwort Diversifizierung oft nicht an erster Stelle genannt werden, die aber über nicht unerhebliche Rohstoffvorkommen verfügen. China hat hier den Fuß schon lange in der Tür und auch die USA vernachlässigen den geografisch nahen Wirtschaftsraum nicht. Für die EU kann das Mercosur-Abkommen daher in einer sich verändernden und stark von Unsicherheit geprägten Weltlage ein wichtiges Puzzlestück zum De-Risking sein, das die außenwirtschaftspolitische Position gegenüber China und den USA stärkt und darüber hinaus ein möglicher Hebel im Hinblick auf die Verankerung globaler Nachhaltigkeits- und Umweltstandards ist. (Mit Convoco im Gespräch, 10/2023)

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