In der C! Edition Neue Konstellationen der Gegenwart (2021) schreibt Corinne Flick:
“Dass der Weg zu universaler Kooperation sich auch konfliktreich gestalten könnte, zeichnet sich bereits ab. Es ist fraglich, ob die unilaterale Weltordnung der letzten Jahrzehnte weiterhin gültig ist. Ist unsere Welt inzwischen bipolar oder eher multipolar? Sind wir auf dem Weg in ein „post-hegemonisches“ Zeitalter? Dass es uns schwerfällt, eine Antwort auf diese Fragen zu finden, ist bereits Beweis genug, dass etwas Neues im Entstehen ist … Es steigt die Gefahr, dass die Welt auseinanderfällt.“
Nur ein Jahr später wird diese Prognose zur Realität. Der Krieg in der Ukraine stellt eine Zeitenwende dar. Die Welt nach dem Krieg wird nicht mehr die gleiche sein. Lesen Sie die Aussagen der C! Denker:innen zur Frage:
Spaltet sich unsere Welt?
Re-Imperialisierung und Re-Territorialisierung
In der Gegenwart lassen sich Tendenzen der Re-Imperialisierung nach dem Ende des Kalten Krieges und im Zeichen einer neuen Multipolarität ausmachen: sei es in der Türkei durch neo-osmanische Ansätze, die in der Umwidmung der Hagia Sophia auch geschichtspolitisch und religiös akzentuiert werden, oder in der Anlehnung an die imperiale Vergangenheit in Russland … Imperialität bedeutet in diesen Kontexten aber nicht nur Geschichtspolitik, sondern besitzt eine ganz konkrete Dimension in territorialen Ansprüchen und entsprechenden Interventionen wie auf der Krim, in der Ostukraine, in Syrien und Libyen. (C! Edition, 2021)
Dass wir es im Augenblick mit einer sehr aggressiven Geschichtspolitik zu tun haben, sei es bei Putin, sei es in China oder sei es auch bei Erdoğan, das ist ganz offenkundig. Es gibt, wenn man so will, einen ideologischen, einen geschichtspolitischen Imperialismus, der auch nach dem Ende der klassischen Imperien weiter große Bedeutung hat. (C! Podcast, 2020)
Die neue Ära der Multipolarität
In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Neue Machtzentren sind entstanden, und allerorten sind neue Kräfte entfesselt worden. Die Ära nach dem Ende des Kalten Krieges – die Ära einer von den USA dominierten internationalen Staatengemeinschaft – gehört der Geschichte an. (C! Edition, 2021)
Je stärker die USA ihre hegemoniale Stellung aufs Spiel setzen und je länger die Europäer:innen unfähig bleiben, sich selbst als eigenständige globale Macht zu entfalten, desto deutlicher verschieben sich die Proportionen geopolitischer Machtmechanik. (C! Edition, 2021)
Seit der Machtübernahme Putins, seit der neo-osmanischen und autokratischen Politik Erdoğans in der Türkei vergrößert sich die Zahl antiwestlicher Spieler. Aus der multilateralen wird eine multipolare Welt. (C! Edition, 2021)
Verliert die institutionelle Bindung der Welt ihre Kraft?
Udo Di Fabio: Die Entwicklung einer institutionell eingebundenen Souveränität stößt seit längerem an Grenzen. Was wir heute erleben, ist eine Rebellion gegen diese Ordnung, eine ernstzunehmende »Konterrevolution«. In diesem Ringen entsteht eine neue geopolitische Konstellation. (C! Edition, 2021)
[Eine Herausforderung für die Weltordnung ist,] wenn durch Machtverschiebungen im globalen Regieren der demokratische Fortschritt untergraben wird. Denn der Aufstieg von autokratisch regierten Ländern begrenzt den demokratischen Einfluss auf internationale Organisationen und kann somit langfristig den Niedergang der globalen Demokratie bedeuten … Autokratien wollen in erster Linie ihre nationale Souveränität ausweiten. (C! Edition, 2021)
Der Weltfrieden ist ein zerbrechliches Gut, das am besten durch die Mitwirkung und Mitgestaltung von internationalen und europäischen Institutionen geschützt und gestärkt werden kann. (C! Edition, 2021)
Dieser Krieg ist eine Zeitenwende für Europa. Die EU ist innerhalb weniger Tage zu einem ernstzunehmenden, geopolitischen Akteur geworden. (C! Podcast Spezial, März 2022)
Es hat sich gezeigt, dass wir nur im Verbund von NATO und EU die Europäer:innen effektiv schützen können. (C! Podcast Spezial, März 2022)
Der Krieg in der Ukraine: eine Zeitenwende
The international order has fallen apart. We should change into damage control mode. The question is no longer whether we can reinstall the post-1989 order. The question is which new balance of power can be established without much further violence. (C! Podcast Spezial, März 2022)
The best outcome under the current conditions would perhaps be a return to the Cold War. But I’m not sure if we can really go back to even the Cold War balance of power because the response of the West, both of governments and the public has been much more determined than most people and perhaps even the Russians expected. It will be difficult to, so to speak, climb off this horse. It will take considerable negotiations to even reach a Cold War situation right now. (C! Podcast Spezial, März 2022)
Wir sehen schon seit ca. 2010, dass die Globalisierung … stagniert. Jetzt müssen wir erwarten, dass die Arbeitsteilung sich innerhalb der Blöcke, die sich gegenüberstehen, weiter vertiefen wird … Insgesamt bedeutet das, dass die Globalisierung so, wie wir sie bisher kannten, zu einem Ende kommt. (C! Podcast Spezial, März 2022)
Man hatte die Vorstellung „Wandel durch Handel“ – je stärker man mit Russland im Handelsaustausch steht, desto höher ist die gegenseitige Abhängigkeit, und diese Abhängigkeit wird verhindern, dass es zu einem militärischen Konflikt kommt. Diese Illusion werden wir nicht mehr haben. (C! Podcast Spezial, März 2022)
Wir sehen jetzt, dass wir doch Vorsorge treffen müssen für Eventualitäten, die wir bis vor kurzem als Eventualitäten des letzten Jahrhunderts angesehen haben, nämlich dass es auch für uns zu einem militärischen Konflikt kommen kann. Ich denke, man muss das letztlich aber auch als Chance begreifen, Dinge neu zu strukturieren. (C! Podcast Spezial, März 2022)