Neue Konstellationen der Gegenwart

Auf der einen Seite beobachten wir eine Krise des Multilateralismus: Internationale Kooperation sinkt und Staaten fokussieren sich auf die Durchsetzung nationaler Interessen. Gleichzeitig sehen wir, dass nicht-staatliche Akteure immer mehr globale Verantwortung übernehmen. Sind neue Konstellationen im Entstehen?

Wir können uns nicht sicher sein, „ob sich unter der Oberfläche des vermeintlich Bekannten, der scheinbaren Wiederholung, der präfigurierten Gegenwart, nicht doch ganz Neues ergibt, das den hermeneutischen Rahmen der Kontinuitätserzählung durchbricht.” – Jörn Leonhardt – 

Convoco hat diese Entwicklung unter dem Thema Neue Konstellationen der Gegenwart untersucht.

Die Rückkehr des Nationalismus

„Die Eine-Welt-Konstellation wirkte nach dem Ende des Kalten Krieges wie die unbestreitbare Matrix einer universellen Weltordnung … Doch die Entwicklung einer normativ und institutionell eingebundenen Souveränität stößt seit längerem an Grenzen. Was wir heute erleben, ist eine Rebellion gegen diese Ordnung, eine ernstzunehmende »Konterrevolution«.“

Für Udo Di Fabio lag der Erfolg des modernen Staats darin, dass seine Institutionen die Komplexität der Politik reduzierten. Das stärkte die Leistungsfähigkeit des Staates. Durch die Öffnung des Staates nach außen ab 1945 wurde Politik wieder unübersichtlicher und kompliziert. Das hat heute Konsequenzen.
Viele Nationalstaaten wollen Souveränität zurückerlangen. Eigene Interessen werden zu Lasten internationaler Kooperation priorisiert – ganz im Sinne von “Take back control” (Brexit) und “America First”. Die Weltinstitutionen der Nachkriegszeit, die die internationale Kooperation bis heute koordinieren, verlieren Rückhalt.

„Der Rückzug der alten Weltmacht USA, der Aufstieg Chinas zur neuen Weltmacht, aber auch die Fragmentierung der institutionellen Landschaft und der damit einhergehenden Entstehung neuer informeller Kooperationsformen … stellen die internationale Kooperation vor enorme Herausforderungen und zeigen, wie der Multilateralismus aus unterschiedlichen Richtungen angegriffen wird.”

Der Rückzug ins Nationale wurde durch die Krisen der letzten Jahre verstärkt.

„Der Nationalstaat wirkt weiterhin als wichtige, ja vielerorts entscheidende politische, rechtliche und emotionale Referenz in Krisenphasen.”

Die grenzüberschreitenden Herausforderungen verstärken sich aber.  Laut Maha Aziz übernehmen daher nicht-staatliche Akteure – NGOs, Unternehmen, Protestbewegungen, Tech-Moguln – jetzt vermehrt globale Verantwortung.

Die neue Rolle nicht-staatlicher Akteure auf der Weltbühne

„Nicht-staatliche Akteure versuchen, das Vakuum politischer Führung zu füllen”

Maha Aziz sieht die politische Macht auf der Weltbühne im Wandel. Sie wird nicht mehr ausschließlich von Staaten ausgeübt. Man denke zum Beispiel an die Fridays for Future Bewegung und an Technologie-Moguln wie Bill Gates und Jack Ma, die sich dort gesellschaftspolitisch einsetzen, wo staatliche Führung versagt.
Nach Stefan Korioth befindet sich der einstige Herrschaftsmonopolist “Staat” im Wettbewerb mit supra- und internationalen Organisationen, NGOs sowie Unternehmen. Nicht-staatliche Akteure fordern heute öffentliche Legitimität – mit, neben oder auch gegen den Staat. Der Staat wird enttrohnt.

Nach Stefan Korioth befindet sich der einstige Herrschaftsmonopolist “Staat” im Wettbewerb mit supra- und internationalen Organisationen, NGOs sowie Unternehmen. Nicht-staatliche Akteure fordern heute öffentliche Legitimität – mit, neben oder auch gegen den Staat. Der Staat wird enttrohnt.

Nicht-staatliche Akteure „nehmen für sich eine aus ihrer selbstgesetzten Aufgabe hergeleitete Legitimation in Anspruch, sei sie aus moralischer Autorität, Sachkenntnis oder kritischer zivilgesellschaftlicher Begleitung drängender Fragen des Schutzes der Umwelt abgeleitet.”

Aus der Sicht des Völker- und Verfassungsrechts muss eine solche Legitimität abgelehnt werden. Das ignoriert jedoch, was bereits existiert. Daher fordert Maha Aziz, die sich wandelnde Rolle nicht-staatlicher Akteure neu zu definieren und gesellschaftlich festzusetzen.

„Die Entwicklung neuer Konzepte ist längst nicht mehr das Vorrecht staatlicher Institutionen. Ein neuer Gesellschaftsvertrag muss dem Rechnung tragen.” – Maha Aziz –

Aber Vorsicht:  Stefan Korioth warnt, dass weder für Anwendung von Rechtszwang noch für die Kompetenz zur Rechtsetzung die nötige Legitimation gegeben ist.

Rudolf Mellinghoff verweist auf die fehlende demokratische Legitimation zivilgesellschaftlicher Akteure im politischen Entscheidungsprozess. Fehlt diese, kann man nicht davon ausgehen, dass mehrheitliche Interessen der Bürger:innen vertreten werden.

„Auch wenn die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle im politischen Prozess spielt, muss die letztverbindliche Entscheidung über hoheitliche Maßnahmen immer noch demokratisch legitimierten Organen vorbehalten bleiben.”

Neue Konstellationen

Wir müssen uns diesen Fragen der Legitimation stellen, denn letztlich brauchen wir globales Engagement nicht-staatlicher Akteure.

„Heutige Herausforderungen verlangen nach den neuen und erweiterten Kooperationsformen, wie sie im Entstehen sind. Sie sind getragen von einem wachsenden Gemeinwohlverständnis.”

Man mag fragen: Sollten wir nicht besser eine Weltregierung anstreben, um den heutigen Herausforderungen gerecht zu werden? Wolfgang Schön ist überzeugt: eine Weltregierung wäre weder praktisch noch wünschenswert.

Ein demokratisch verfasster Weltstaat „wäre rein technisch nicht weit entfernt von einer weltweiten Diktatur. Wenn es erst einmal gelungen ist, alle Nationen der Welt zu einem zentral verwalteten Gesamtstaat zusammenzuschließen, dann kann jede Schwäche der leitenden Institutionen dafür genutzt werden, ein einheitliches Kommandosystem zu etablieren.”

Wir brauchen die neuen Konstellationen, die jetzt im Entstehen sind. 

„Wir sind mit ernsten globalen Risiken konfrontiert, gegen die ein Land oder eine Gruppe allein wenig ausrichten kann … Wir brauchen deutlich mehr sektorübergreifende Partnerschaften zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und weiteren Bereichen wie beispielsweise Nichtregierungsorganisationen (NGOs) oder Stiftungen.”

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