Halten die Systeme im Ernstfall?
Die Convoco! Edition ist eine jährlich erscheinende Buchreihe, die Beiträge der Denkerinnen und Denker zu Convocos Jahresthemen zusammenträgt. Die Edition wird sowohl in deutscher als auch englischer Sprache veröffentlicht.
Halten die Sysetme im Ernstfall?

Reihe: Convoco! Edition
Herausgegeben von Corinne Michaela Flick
Beitragende: Marietta Auer, Tim Crane, Gabriel Felbermayr, Clemens Fuest, Adrian Ghenie, Birke Häcker, Peter M. Huber, Stefan Korioth, Martin Korte, Jörn Leonhard, Timo Meynhardt, Hans Ulrich Obrist, Monika Schnitzer, Wolfgang Schön, Moritz Schularick, Claudia Wiesner
Seiten: 288
ISBN 978-3-8353-5618-4
Preis gebundenes Buch: €15.00 (D) . €15.50 (A)
Preis EPUB: €14.99
Bald erhältlich
Convoco wagt die Behauptung, dass die Phase der Krisen hinter uns liegt und wir das Stadium des Ernstfalls erreicht haben. Das Ausmaß und die Verflechtungen der gegenwärtigen weltweiten Problemlagen sind für den einzelnen Menschen nicht mehr überschaubar. Die Frage ist, ob die tragenden Systeme des gesellschaftlichen Zusammenleben halten. Dabei geht es nicht nur um die politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Institutionen des Westens. Da diese allerdings die moderne Welt bis heute maßgeblich geprägt haben, stehen sie bei der Diskussion im Vordergrund. – Wie resilient sind die Institutionen der offenen Gesellschaft? Was bedeutet das Anthropozän für die europäische Regierungsform? Welche Zukunft hat der Welthandel? Und wie muss sich unser Verständnis zur Welt angesichts der extremen Auswirkungen des Klimawandels verändern? Es gilt, Adaptionsfähigkeit zu zeigen.
Thesen
Krisen sind die neue Normalität unserer Zeit. Die Pandemie, die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten sind Symptome einer neuen Weltordnung, die zunehmend Resilienz erfordert. Deutschland muss seine wirtschaftspolitische Krisenkompetenz auf- und ausbauen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben und unnötige Kosten zu vermeiden.
Moritz Schularick
Individuelle und politische Autonomie, die entscheidenden Säulen des liberalen Gesellschaftsmodells, sind nur möglich in einem Gesamtklima gesellschaftlicher Liberalität, das sich gegen neue Totalitarismen konsequent zur Wehr setzt.
Marietta Auer
Die Wehrhaftigkeit eines modernen demokratischen Rechtsstaats beruht einerseits auf verfassungsrechtlichen Vorkehrungen gegen seine Unterminierung von innen; andererseits auf gesellschaftlichen Faktoren, die von der Verfassung nicht garantiert werden können. Beide Elemente – interne wie externe – tragen dazu bei, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch im Ernstfall stabil zu halten.
Birke Häcker
Es existiert in Deutschland derzeit weder eine Staats- noch eine Verfassungskrise. Nach wie vor besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens für die rechtsstaatlich eingehegte, liberale Demokratie. Dieser Erfolg seit 1949 ist allerdings kein Grund, sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Es gibt Phänomene, die das Bild verdunkeln.
Peter M. Huber
Die Demokratie ist die Herrschaftsform der Transformation. Entscheidend ist eine spezifische, wenn auch labile Verbindung von Stabilität und Offenheit, von demokratischen Formen und Recht im Verfassungsstaat.
Stefan Korioth
Vertrauen ist das Herzstück jeder sozialen Interaktion. Vertrauen wird gestärkt, wenn wir Verantwortungsträger für authentisch halten und wenn Menschen in stressbehafteten Situationen noch glauben, Handlungsmöglichkeiten zu haben; Angst dagegen schränkt die Rechenkapazität des Gehirns ein.
Martin Korte
Wie gut der Staat in Krisensituationen seiner Koordinierungsfunktion gerecht wird, hängt wesentlich von der Staatskapazität ab. Die Verbesserung der öffentlichen Verwaltung und Governance muss daher oberste Priorität haben.
Monika Schnitzer
Ein gesundes Klima ist nicht alles, aber ohne ein gesundes Klima ist alles nichts. Nur wenn es uns gelingt, das globale Klimasystem zu stabilisieren, haben wir eine Chance, dass auch unsere anderen Systeme halten.
Wolfgang Schön
Eine Ausrichtung des technischen und sozialen Fortschritts auf Umweltschutz, kombiniert mit Investitionen in Regeneration und Erhaltung des Naturkapitals, ist ein vielversprechenderer Weg zu Nachhaltigkeit als eine Senkung der Wirtschaftsleistung.
Clemens Fuest
Kunstwerke und Ausstellungen reisen um die ganze Welt und haben entsprechende Auswirkungen auf die Umwelt. Das wirft die Frage auf, ob es nicht nachhaltiger und daher notwendig wäre, mehr fixe Orte für die Kunst zu finden. Ich sehe im Moment viele Künstler, die, metaphorisch gesprochen, lieber einen Garten gestalten würden als eine Ausstellung. Es geht ihnen um Projekte mit langer Laufzeit.
Hans Ulrich Obrist
Das individuelle Wohl und das Gemeinwohl sind miteinander verwoben und im Grunde nicht zu trennen. Wir leben in einem System, und wir leben von einem System. In diesem Selbst-Welt-Verhältnis liegt unser Gestaltungsspielraum.
Timo Meynhardt
Um im Anthropozän demokratisch zu regieren, muss man Komplexität und Relationalität akzeptieren, vernetzte Lösungen suchen, in Verflechtungen denken und die Orientierung auf lineare Kausalitäten einstellen.
Claudia Wiesner
Die Bedrohung der globalen oder liberalen Weltordnung muss keine Bedrohung der Werte sein, die diese Weltordnung vertritt.
Tim Crane
Man sollte das Welthandelssystem nicht strukturell in einer Phase der Deglobalisierung sehen, sondern in einer Phase der Transformation. Dazu gehört eine Blockbildung. Aber hinter dieser Blockbildung steht etwas Positives, nämlich die Suche nach funktionierenden Modellen.
Gabriel Felbermayr
Es geht darum, das Gute an den Systemen zu bewahren und sie gleichzeitig anzupassen. Wandel ist essenziell für das Überleben. Man muss wahrscheinlich anerkennen, dass eine Welt, wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert präsentierte, verschwindet. Ob die westlich geprägten Systeme halten, hängt von uns allen ab.
Corinne M. Flick
Der Ernstfall ist immer auch eine Chance, der an die prinzipielle Bedeutungsoffenheit von »Krise« erinnert: nicht als negative Determination eines Geschehens, sondern als Phase der Entscheidung mit offenem Ausgang.
Jörn Leonhard
Wir machen nur Kunst, weil wir uns in einer Krise befinden. Es gibt keine Kunst ohne Krise.
Adrian Ghenie