Preis für Verständigung und Toleranz des JMB

Es ist uns eine große Ehre bekannt zu geben, dass Dr. Corinne Michaela Flick am Samstag, den 11. November 2023 den Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museums Berlin erhalten hat. Herzlich gratuliert das Convoco Team Corinne Flick und Wolfgang Ischinger, dem zweiten Preistragenden des Abends.

Lesen Sie hier Auszüge aus der Laudatio von Prof. Jörn Leonhard und aus der Dankesrede von Dr. Corinne M. Flick:

Laudatio von Prof. Jörn Leonhard

Heute Abend möchte ich vor allem über vier besondere Leitmotive sprechen, die Corinne Flick auszeichnen. Sie haben aus Convoco das gemacht, was es heute ist. Aber sie weisen doch weit darüber hinaus: sie sind unabdingbare Voraussetzungen für Verständigung und Toleranz. Und sie haben für uns alle in diesen dramatischen Zeitläufen eine paradigmatische Bedeutung.

Da ist zuallererst ein starkes Bewusstsein für den ganz besonderen Wert der Freiheit: als Voraussetzung für Verständigung und Toleranz, als Insel des Nachdenkens, als Grundlage für den zweiten, differenzierenden Blick, für das interesselose Interesse, für die Vielfalt von Perspektiven, als Basis für jeden Austausch, eben für ein zivilisiertes Miteinander. Corinne Flick erinnert die Teilnehmenden von Convoco nicht zufällig immer wieder an die Gefährdungen der Freiheit: etwa wenn im Rekurs auf die Gleichheit eine Tyrannei der Mehrheit entsteht, welche die Freiheit bedrohen kann. 

Freiheit kann man nicht an Institutionen und Prozesse delegieren. „Checks and balances“ sind wichtig, aber sie können niemals die persönliche Haltung ersetzen. Und deshalb wird Freiheit angreifbar durch Passivität. Freiheitliche Demokratien stürzen nicht in einem einzigen Augenblick zusammen. Sie sterben vielmehr einen langsamen Tod: durch Desinteresse, Rückzug, eine Mentalität des Geschehen-lassens und Wegsehens, durch persönliche Abwendung.  Die Gefährdung der Freiheit ist ein unmittelbarer Teil des Epochenbruchs, in dem wir uns befinden: Wie im verbrecherischen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine geht es auch im menschenverachtenden Terror der Hamas gegen Juden und in jedem einzelnen Akt des Antisemitismus um einen Angriff auf die freiheitliche Art, in der wir leben wollen.

Das zweite Leitmotiv ist die Corinne Flick ganz eigene Verbindung aus Empathie und Entschiedenheit. Empathie äußert sich bei ihr als Neugierde, etwas besser verstehen zu wollen und als heilsamer Zwang, sich dafür auf ein Gegenüber einzulassen. Erst aus dieser Konstellation kann Entschiedenheit von Positionen erwachsen. Auch diese Verbindung zwischen Empathie und Entschiedenheit hat unmittelbar mit unserer Gegenwart zu tun. Empathie bedeutet die Fähigkeit, sich in einen anderen zu versetzen, sich auf seine Motive und Erfahrungen einzulassen und aus dieser Perspektive eine produktive Distanz zu sich selbst zu gewinnen – auch dies eine Form der Grenzüberschreitung. Was es aber heißt, wenn Menschen empathielos werden, ist seit dem 7. Oktober 2023 offenbar geworden. Das so laute Schweigen und die emotionale Kälte von links und rechts angesichts des Terrors und des Antisemitismus sind auch deshalb so erschütternd, weil ohne diese Empathie weder Glaubwürdigkeit des individuellen und politischen Handelns noch Vertrauen denkbar sind.

[…]

Drittens gehört zu Corinne Flick wie zu Convoco eine eigene besondere Kultur der Kommunikation, in der Freiheit und Empathie zusammenfinden. In diesem Sinne bedeutet Convoco im Kern eine anstrengende Verpflichtung für alle Teilnehmenden: zusammenzukommen, sich aufeinander einzulassen, ein Problem gründlich durchzudenken, ein dickes Brett zu bohren, ohne schon am Anfang die Antwort zu kennen, also im besten Wortsinne zuzuhören, um sich verunsichern zu lassen, der Gegenseite auf Augenhöhe zu begegnen, im Wissen und Vertrauen darauf, sich gegenseitig auch etwas zumuten zu können, die Kontroverse nicht zu scheuen und auf dieser Basis nach besseren Einsichten und Lösungen zu suchen. Convoco beweist, dass besser wissen etwas anderes ist als Besserwissen und dass die Erkenntnissumme immer mehr ist als die Summe von Einzelwissen.

Und viertens schafft es Corinne Flick immer wieder, die Perspektiven aus Recht, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft um die Kunst zu ergänzen … Hier geht um die Aufforderung, sich auf die Kunst als das Denken im Möglichkeitsraum des Ästhetischen einzulassen, auf die Möglichkeit der besseren Erkenntnis aus Verzauberung. Auch diese Eigenschaft hat unmittelbar mit unserer Gegenwart zu tun, weil sich in der Kunst Erkenntnis und Trost verbinden. Man lese die große Rede Salman Rushdis zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: Mehr denn je ist die Kunst heute eine drängende Antwort auf Philisterei, sie ist ein kondensierter Ausdruck der Zivilisiertheit, des Denkens in Nuancen, Übergängen, Gegenläufen, Widergängen. Kaum etwas kann die Barbarei im Wahnsinn unserer Welt so schnell entlarven wie überzeugende Kunst. 

Corinne Flick wird heute ausgezeichnet für ein außergewöhnliches, innovatives und originelles, für ein vielfach ausstrahlendes Engagement. Den Kern dafür bildet ihre Persönlichkeit: ihre Neugierde und Ausdauer, ihre Standfestigkeit, ihr Verantwortungsbewusstsein, eine einmal übernommene Aufgabe so gut wie irgend möglich zu erfüllen, ihre analytische Zielgenauigkeit, ihr untrügliches Gefühl für Qualität, ihre überragende Fähigkeit zur Moderation, zur intelligenten Geselligkeit, zum Zusammenführen, Differenzieren und Grenzüberschreiten.

Dankesrede von Dr. Corinne M. Flick

Die Verleihung dieses Preises ist eine Auszeichnung, mit der ich nicht gerechnet habe. Denn selbstverständlich waren mein Handeln und meine Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt darauf ausgerichtet, Preise dafür zu bekommen. Umso grösser ist daher heute meine Freude und auch meine Dankbarkeit.

Was hat mich zur Initiative bewogen? In erster Linie meine Liebe
  • zum Gedankenaustausch.
  • zum Nachdenken.
  • zur Wissenschaft.
  • und ganz besonders meine Hochachtung vor dem deutschen Grundgesetz. Als Juristin war ich immer von der Klarheit der deutschen Verfassung beeindruckt. Sie stellt die Basis unseres freiheitlichen Lebens dar.
Diesen Wert – Leben in Freiheit in all seinen Formen – gilt es für mich zu schützen.
 
Was kann ein einzelner Mensch tun, damit die freiheitlichen Werte erhalten bleiben? Die Antwort lautet:
  • Position beziehen.
  • Standhalten.
Es geht vor allem darum,
  • sich an der Berufung zur Freiheit zu orientieren.
  • dem Falschen Widerstand zu leisten.
  • sich aktiv einzubringen.
  • und Verantwortung zu zeigen.
und damit Bürgerinnen und Bürger eines freiheitlichen demokratischen Staates zu sein.

[…]

Nicht vorherzusehen war aber, wie wichtig es eines Tages in Deutschland sein würde, die freiheitliche Ordnung zu verteidigen. Heute – meine Damen und Herren – ist es seit der Gründung der Bundesrepublik wahrscheinlich am dringlichsten, sich für Freiheit und Demokratie einzusetzen. 
 
Denn Toleranz – um die es heute Abend geht – kann nur im Zusammenhang mit Freiheit und Demokratie gedacht werden. Toleranz für sich alleine ist keine Tugend. Erst im Dialog und im Wechselspiel mit den Freiheitsrechten wird Toleranz zu einem Begriff, der zentral für die pluralistische, demokratische Gesellschaft ist.
 
Lassen Sie mich das bitte kurz erklären. Ich beziehe mich hier auf den Philosophen Rainer Forst.
 
Toleranz hat drei Elemente:
  • Das erste Element ist die Ablehnung: Ich kann nur tolerieren, was ich ablehne.
  • Das zweite ist die Akzeptanz: Es gibt Gründe, warum das, was ich ablehne, dennoch toleriert werden sollte.
  • Das dritte Element ist die Zurückweisung. Die Grenzen der Toleranz finden sich in Zurückweisungsgründen. Diese müssen wesentlich stärker sein als die Gründe, die für eine Akzeptanz sprechen.
Mit anderen Worten: Menschenwürde und Freiheitsrechte begründen die Akzeptanz, das zu tolerieren, was wir ablehnen. Was zu tolerieren ist, kann uns die Toleranz selbst nicht sagen. Das zeigt sich erst mit Blick auf Werte wie Freiheit, Demokratie und Gerechtigkeit.

[…]

Wir sind alle aufgerufen, bewusste Bürgerinnen und Bürger zu sein. Wir müssen uns einbringen. Das demokratische, freiheitliche Leben muss jeden Tag neu verhandelt werden. Darum geht es. Hier setze ich mit meiner Initiative an – und das seit 20 Jahren.
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