C! Interview mit Christoph Möllers

Prof. Christoph Möllers hat im Auftrag von Kulturstaatsministerin Claudia Roth ein Gutachten verfasst zum Thema Kunstfreiheit. Anlass des Gutachtens ist der Antisemitismus-Skandal der Documenta 15. 

Lesen Sie unten einen Auszug aus dem Convoco-Gespräch mit Christoph Möllers zum Thema Liberalismus und Freiheit oder hören Sie hier den Podcast.

Corinne Flick: Welches Freiheitsverständnis liegt dem modernen Liberalismus zugrunde?

Christoph Möllers: Im neunzehnten Jahrhundert hat es noch liberale Bewegungen gegeben, die sehr in kollektiven Freiheitsbegriffen gedacht haben. Freiheit war hier etwas, das in der Gemeinschaft aufgehoben ist. Wenn wir heute über Liberalismus sprechen, denken wir eher an die individuelle Freiheit. Wir denken an politische Bewegungen, die das Individuum ganz nach oben stellen. Das atomisierte Ich, das seine Freiheit sucht, ist der Grund im Grunde aller Freiheit. Doch diese Entwicklung gibt es so, in dieser Radikalität, erst seit ein paar Jahrzehnten. Der Freiheitsbegriff des Liberalismus wird immer wieder neu diskutiert und verändert.

Der Liberalismus ist auch mit der Idee eines starken Staats verbunden, um die Individuen aus ihren sozialen Abhängigkeiten zu befreien und individuelle Kreativität zu entfesseln.

CMF: Wie viel Staat verlangt der Liberalismus?

 

CM: Der Liberalismus ist sehr ambivalent, was den Staat angeht. Heute wird der Liberalismus dem Staat oft gegenübergestellt. Die linke Kritik zum Beispiel versteht den Liberalismus oft als einen Traum von einem staatsfreien globalen Markt. Historisch gesehen trifft das so allerdings nicht zu. In der Vergangenheit handelt es sich eher um eine politische Allianz, in der die Liberalen das Individuum mit der Staatsgewalt zusammengespannt haben. Ziel war es, jegliche Zwischeninstanzen – also Zünfte, Kooperationen, vielleicht auch Gewerkschaften – zu überwinden. Der Liberalismus ist also auch mit der Idee eines starken Staats verbunden, um so die Individuen aus ihren sozialen Abhängigkeiten zu befreien und individuelle Kreativität zu entfesseln. Deswegen ist der Liberalismus auch immer etwas ganz anderes gewesen als der Anarchismus. Ohne politische Herrschaft funktioniert Liberalismus nicht.

 

CMF: Was unterscheidet politischen und ökonomischen Liberalismus?

 

CM: Ich glaube ein radikal zu Ende gedachter ökonomischer Liberalismus hat gar keinen Begriff von Politik. Wenn Individuen sich gut koordinieren, die eigenen Präferenzen offenlegen und die Präferenzen anderer erkennen, werden sie nach dieser Auffassung ihr Leben so ausgestalten, dass Politik kaum noch gebraucht wird. Der politische Liberalismus hingegen verteidigt das Primat des Politischen:  Die politische Gestaltung kommt zuerst und weist dem Ökonomischen ihren Platz zu. Im Moment ist das eine offene Frage, denn das Ökonomische ist in allen Belangen sehr dominant.

 

CMF: Ist der ökonomische Liberalismus zwangsläufig mit dem Kapitalismus verbunden?

 

CM: Das haben wir lange Zeit gedacht. Das Zweckbündnis oder die Liebesheirat (darüber müsste man noch einmal nachdenken) zwischen Kapitalismus und Liberalismus galt als die Erfolgsgeschichte des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Doch in China sehen wir heute etwas anderes. China ist unzweifelhaft ein kapitalistisches System, aber es ist sicherlich kein liberales. Es ist eine Herausforderung für uns zu sehen, wie effizient und wettbewerbsfähig ein System sein kann, das nicht als liberal bezeichnet werden kann und auf staatlicher Planung beruht.

Es gibt keine individuelle Freiheit ohne Gemeinschaft.

CMF: Es gibt sowohl die individuelle als auch die gemeinschaftliche Freiheit. Wie ist das Verhältnis?

 

CM: Dieses Verhältnis ist in gewisser Weise die große Frage der politischen Theorie. Mein bescheidener Beitrag dazu wäre zu sagen, dass wir uns nicht auf Theorien einlassen sollten, die das Verhältnis zu Ende definieren. Stattdessen brauchen wir Theorien, die das Verhältnis beweglich halten. Kollektive Entscheidungen müssen individuelle Freiheit begrenzen können, und umgekehrt. Diese Frage muss immer wieder politisch ausgehandelt werden und kann nicht einheitlich behandelt werden. Deswegen verlangen viele anspruchsvolle und toll gemachte politische Theorien wahrscheinlich zu viel von uns, wenn sie suggerieren, man könnte diese Balance zwischen individueller und kollektiver Freiheit theoretisch lösen.

 

CMF: Gibt es individuelle Freiheit ohne Gemeinwohl?

 

CM: Nein, es gibt keine individuelle Freiheit ohne Gemeinschaft. Ich glaube, das ist ein fundamentaler Punkt. Wer allein auf einer Insel lebt, kann sich nicht auf seine Freiheit berufen. Das Problem von Individualität und der Frage, was ich machen kann und was ich machen will, entsteht erst in der Gemeinschaft. Trotzdem ist man bei der Verbindung von Freiheit und Gemeinwohl gut beraten, sich bei den Auswirkungen politischer Entscheidungen zunächst auf individuelle Personen zu konzentrieren, bevor man diese quantifiziert. Es gilt, den Begriff des Gemeinwohls konkret zu halten.

Alle Regulierungen sind überhaupt nur dadurch zu rechtfertigen, dass wir sie auch als Freiheitsgewinn verstehen können.

CMF: Wenn es um Freiheit geht, werden Regulierungen häufig als Freiheitseinschränkungen wahrgenommen. Kann die Regulierung auch freiheitsgewinnend sein? Denken wir zum Beispiel an den Klimaschutz.

 

CM: Alle Regulierungen sind überhaupt nur dadurch zu rechtfertigen, dass wir sie auch als Freiheitsgewinn verstehen können. Eine demokratisch gesetzte Regel ist in erster Linie ein Ausdruck kollektiver Freiheit. Das ist die Verfahrensantwort. Im zweiten Schritt muss man aber die Inhalte betrachten. Regeln können Menschen Lebenschancen eröffnen, Dinge ermöglichen und allgemein dafür sorgen, dass Menschen frei sein können. Das trifft betrifft den Klimaschutz ganz konkret. Wenn der Klimawandel völlig außer Kontrolle gerät, wird das zu massiven Freiheitseinbußen führen. Insofern ist es immer etwas kurzsichtig zu sagen, Klimaschutzregeln sind freiheitseinschränkend. Wir wägen hier nicht Freiheit gegen Klimaschutz ab, sondern Freiheit gegen Freiheit – wenn auch vielleicht manchmal nur unsere heutige Freiheit gegen die unserer Nachkommen.

 

CMF: Nicht jeder Mensch, der die Freiheit vertritt, ist auch liberal. Aber jede oder jeder, der Liberalismus vertritt ist, ist für die Freiheit.

 

CM: Das stimmt. Der Begriff Freiheit ist ähnlich dem Begriff Demokratie sehr positiv besetzt. Den Liberalismus hingegen sehen viele Leute kritisch – vielleicht gibt es dafür auch gute Gründe. Demokratie und Freiheit sind heutzutage derart positiv besetzt, dass sich auch Personen darunter wiederfinden, die meines Erachtens nichts mit der Demokratie oder Freiheit anfangen können. Das zeigt sich an Begriffen wie „illiberale Demokratie“. Obwohl der ungarische Premierminister Viktor Orbán eine autoritäre Figur ist, würde er von sich behaupten, für die Freiheit des ungarischen Volkes zu kämpfen.

 

CMF: Der Druck auf den Liberalismus durch illiberale Gesellschaftsmodelle steigt. Stärkt dieses neue Konkurrenzdenken den Liberalismus?

 

CM: Ich glaube, dass man sich im Moment wieder viel mehr Gedanken darüber macht, was man an unserem System eigentlich hat. Wir sind im Laufe der Geschichte schließlich nicht einfach so in die Demokratie „reingerutscht“. Es wird bewusster darüber nachgedacht, wie die liberale Ordnung funktioniert. Es gibt auf einmal auch wieder ganz viele Bücher über Liberalismus – und nicht nur solche, die sich kapitalismuskritisch mit dem Neo-Liberalismus befassen. Der Liberalismus als Theorie der Freiheit und der Organisation der politischen Ordnung  ist natürlich seit 200 Jahren immer ein Thema gewesen. Aber in den letzten fünf bis zehn Jahren hat er wieder an Aufmerksamkeit gewonnen.

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