Brexit

Als wir das Thema “Autorität im Wandel” gewählt haben, war nicht klar, welche Brisanz es im Juni 2016 haben würde.
Im Brexit zeigt sich der Ruf nach mehr direkter Demokratie in seiner vollen Stärke und ungefilterten Kraft. Direkte Demokratie bedeutet Handeln ohne Vermittlung, ohne Repräsentation. Sie gilt als die reinste Form des Ausdrucks des Volkswillens. Das klingt gut, beinhaltet aber, dass gewählte Volksvertreter nicht mehr das tun dürfen, wofür sie gewählt wurden: prüfen und entscheiden. Die direkte Demokratie untergräbt die Autorität der repräsentativen Form.

“Der Bundestag ist die Mitte der Demokratie.”

Paul Kirchhof

Produziert direkte Demokratie gute Ergebnisse?

Die Brexit-Entscheidung macht den großen Nachteil der direkten Demokratie deutlich. Die berechtigten Interessen einer Minderheit werden zugunsten einer lauten Mehrheit preisgegeben. 73% der jungen Briten zwischen 18 und 24 haben für “remain” gestimmt. Wie zu Recht von ihnen festgestellt, werden sie es sein, die die Konsequenzen zu tragen haben. Beim Ruf nach mehr direkter Demokratie ist darüber nachzudenken, wie wichtig das Mehrheitsprinzip ist. Das Wesen der repräsentativen (parlamentarischen) Demokratie ist der Schutz von Minderheiten. 

Social Media wie Twitter und Facebook belegen, dass geopolitische Fragen nicht im Mittelpunkt der Interessen ihrer User stehen. Politische Tweets gehören nicht zu den 10 beliebtesten und auch bei Facebook ist der Trend keine Politik erkennbar.

In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass Volksentscheide nicht immer der Sache dienlich sind. Zum Beispiel wurde die Anreicherung von Wasser mit dem gesundheitsfördernden Fluor in US Städten, die durch Plebiszite entscheiden konnten, abgelehnt. Haben gewählte Repräsentanten entschieden, wurde der Anreicherung zugestimmt. In Deutschland ist Hamburg ein Beispiel, wo direkte Demokratie zur Verhinderungsdemokratie wurde. Wo Politik endet, FAZ, 02.12.2015

Direkte Demokratie und die Autorität der Parteien
Großbritannien nach der Entscheidung ist geteilt. Plebiszite schaffen Polarisierung, wo Parteien Konsens erzwingen. „Wer, wenn nicht sie [Partei], kann transnationale, demokratische Öffentlichkeiten schaffen, die die Selbstbezogenheit nationalen Denkens überschreiten?” RAINER FORST, ZEIT, 04.05.2016
Die Suche und das Finden von Kompromissen ist das Wesen demokratischer Prozesse.​ Das Referendum in GB legt die Vermutung nahe, dass der Staat zu viel von seiner Verantwortung auf seine Bürger abgewälzt hat. Autorität und Verantwortung sind untrennbar. Ein Repräsentant wird gewählt, um die Interessen seiner Wähler zu vertreten. Er entscheidet nach eigenem Gewissen, unabhängig von der Zustimmung seiner Wähler. Darin liegt seine Verantwortung. So der englische Staatsmann und Philosoph Edmund Burke.

Die Vorhersagbarkeit von Ergebnissen
Die Brexit-Entscheidung trifft viele Menschen unvorbereitet. Sie widerspricht den Vorhersagen.
Warum lagen die Meinungsforscher in GB zum zweiten Mal falsch? Liegt es an der Auswahl, der Gewichtung, der Technologie oder an der Auswertung, oder leben wir in einer Zeit solcher Vielfalt und Widersprüchlichkeit, dass Meinungsumfragen wertlos sind?
There is always a mystery in how millions of individual voters make up their minds. It is the mystery of democracy. TIMOTHY GARTON ASH

“As an English European, this is the biggest defeat of my political life”

Timothy Garton Ash

Ein Fehler der Autoritäten der Gesellschaft und Politik
It would, however, be quite wrong to blame it all on Them. Look in the mirror and say after me: we are also to blame. How did we, as educators, allow such a simplistic narrative to go unchallenged by good history and civics taught at school and university? How did we, as journalists, allow the Eurosceptic press to get away with it, setting the daily news agenda for radio and television as well? How can we pro-Europeans have so underrated the painful sense of losing out from Europeanisation which now screams through the vote of the other half of England?​ TIMOTHY GARTON ASH

Mauerfall und Brexit
The origins of this debacle are as much European as British. As so often, the seeds of disaster were sown in the moment of triumph; of nemesis in prior hubris. It would be an exaggeration to say that a wall will be going up at Dover because a wall came down in Berlin, but there is a connection nonetheless. In fact, there are three connections. As their price for supporting German unification, France and Italy pinned Germany down to a timetable for an overhasty, ill-designed and overextended European monetary union. As a result of their liberation from Soviet communist control, many poorer countries in eastern Europe were set on a path to EU membership, including its core freedom of movement. And 1989 opened the door to globalisation, with spectacular winners and numerous losers. TIMOTHY GARTON ASH

Zukunft der EU
As Europeans […] we [the British] must do everything we can to ensure the European Union learns the lessons of this stinging reverse. For if the EU and the eurozone do not change, they will be engulfed too, by a thousand continental versions of Farage. And with all its faults, the union is still worth saving.TIMOTHY GARTON ASH

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